Seide ist ein Faserstoff (Abb.1.1), der wegen seiner Festigkeit und wegen seines Glanzes sehr beliebt ist. Linsen sind, genau wie Erbsen und Bohnen (Abb.1.2), Hülsenfrüchte und wichtig für unsere Ernährung. Was haben Seide und Linsen gemeinsam? Sie bestehen aus Proteinen, die wiederum aus Aminosäuren aufgebaut sind. Aminosäuren sind Carbonsäuren, in denen mindestens ein Wasserstoff-Atom durch eine Amino-Gruppe \(\ce{-NH_2}\) ersetzt ist. Dabei ist die Länge der Kohlenstoff-Kette beliebig, genau wie die Anzahl der Amino-Gruppen.
Für uns sind die Aminosäuren, die die Bausteine der Proteine darstellen, besonders wichtig. Dabei handelt es sich um sogenannte \(\pu \alpha\)-Aminosäuren, die sich von der Essigsäure (Abb. 2.1) ableiten. Früher wurde das Kohlenstoff-Atom, das zur funktionellen Gruppe direkt benachbart ist, mit \(\pu \alpha\) bezeichnet. An diesem zweiten Kohlenstoff-Atom ist ein Wasserstoff-Atom durch eine Amino-Gruppe ersetzt (Abb. 2.2). Die einfachste Aminosäure ist Glycin mit der Summenformel \(\ce{C_2H_5NO_2}\) und der Halbstrukturformel \(\ce{H_2N-CH_2-COOH}\).
Glycin, die einfachste Aminosäure
Glycin (Abb. 4.1) ist ein weißer geruchloser Feststoff (Abb. 4.2). Er schmeckt süß. Von dieser EIgenschaft leitet sich auch der Trivialname ab (griechisch "glykos", deutsch "süß"). Der systematische Name lautet 2-Aminoessigsäure (2-Aminoethansäure). Weitere Eigenschaften findest du in der Tabelle:
| molare Masse | $\pu{75,07 g//mol}$ |
| Dichte | $\pu{1,161 g//cm^3}$ |
| Schmelzpunkt | Zersetzung bei \(\ce{232 -236 °C}\) |
| Löslichkeit | gut löslich in Wasser |
Übrigens: Glycin wurde auch schon im Weltall (in Kometen, Meteoriten und in Gaswolken) nachgewiesen.
Die Amino-Gruppe beeinflusst die Eigenschaften von Glycin
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Die Strukturformeln von Essigsäure \(\ce{CH_3-COOH}\) (Abb. 2.1) und von Glycin \(\ce{H_2N-CH_2-COOH}\) (Abb. 2.2) sehen sich sehr ähnlich. Die Amino-Gruppe im Glycin macht jedoch einen großen Unterschied in den Eigenschaften aus. Essigsäure schmeckt sauer, wohingegen Glycin süß schmeckt.
Essigsäure ist bei Raumtemperatur flüssig, bei Glycin handelt es sich um einen Feststoff. Das ist nicht durch den Unterschied der molaren Massen zu erklären. Propansäure \(\ce{CH_3-CH_2-COOH}\) mit einer molaren Masse von $\pu{74,09 g//mol}$ ist schließlich auch eine Flüssigkeit. Dieser Unterschied ist auf den Einfluss derAmino-Gruppe zurückzuführen. Zwischen den beiden funktionellen Gruppen in Glycin kann eine Säure-Base-Reaktion ablaufen: die Carboxy-Gruppe kann ein Proton abgeben, die Amino-Gruppe eines aufnehmen. Es entsteht ein Zwitter-Ion (Abb. 5), also ein Teilchen mit negativer und positiver Ladung. Damit können starke Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Glycin-Teilchen aufgebaut werden.
Glycin liegt daher bei Raumtemperatur als kristalliner Feststoff vor. Die Substanz löst sich gut in Wassser und die wässrige Lösung leitet den elektrischen Strom. Die wässrige Lösung von Glycin weist einen pH-Wert von ungefähr 6 auf. Im Vergleich zur Essigsäure ist Glycin also deutlich weniger sauer.
Vorkommen und Verwendung
Glycin ist die kleinste Aminosäure und kommt in fast allen Proteinen vor. So sind im Kollagen, einem wichtigen Strukturprotein im Bindegewebe, ungefähr ein Drittel aller Aminosäuren Glycin-Moleküle. In der Lebensmittelindustrie setzt man Glycin als Geschmacksverstärker unter der Bezeichnung \(\rm {E\,640}\) und in Infusionslösungen ein. Im Labor wird es in Pufferlösungen verwendet.
Zusammenfasssung
Aminosäuren enthalten sowohl Carboxy- als auch Amino-Gruppen. Die Aminosäuren, die als Bausteine der Proteine für uns besonders wichtig sind, leiten sich von der Essigsäure ab und sind sogenannte \(\pu \alpha\)-Aminosäuren. Die einfachste Aminosäure ist Glycin (2-Aminoessigsäure) mit der Halbstrukturformel \(\ce{H_2N-CH_2-COOH}\).