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Grundwissen

Einführung in mehrprotonige Säuren

Das Wichtigste auf einen Blick:

  • Mehrprotonige Säuren können in Säure-Base-Reaktionen mehr als ein Proton abgeben.
  • Jede Säure hat so viele $\ce{pK_S}$-Werte, wie sie Protonen abgeben kann.
  • Bei der Titration kannst du so viele Äquivalenzpunkte erkennen, wie die Säure Protonen abgeben kann.
  • Protonen, die in Säure-Base-Reaktionen abgegeben werden, nennst du acide Protonen.

Salzsäure und Schwefelsäure sind sehr starke Säuren und geben in wässriger Lösung fast vollständig ihre Protonen ab. Die Säurerest-Ionen der Salzsäure (Chlorid-Ionen) können nicht weiter als Brönsted-Säuren reagieren, weil sie keine weiteren Protonen abgeben können. Die Säurerest-Ionen der Schwefelsäure (Hydrogensulfat-Ionen) haben jedoch noch Protonen, die sie in Säure-Base Reaktionen abgeben können. Hydrogensulfat ist zwar auch noch eine starke Säure, aber nicht mehr so stark wie die Schwefelsäure.

Die Besonderheiten von Säuren, die mehr als ein Proton abgeben können, stellen wir dir in diesem Artikel vor.

Brönsted-Säuren geben Protonen ab

CC-BY-NC 4.0 / Joachim Herz Stiftung;
Abb. 1 Schwefelsäure-Molekül

Wie du weißt, geben Brönsted-Säuren an Brönsted-Basen Protonen ab. Meist haben wir in dem Themenbereich der Säuren und Basen einprotonige Säuren, wie Salzsäure, betrachtet. Salzsäure und Wasser reagieren beispielsweise zu Chlorid-Ionen und Oxonium-Ionen.

$\ce{HCl + H2O <=> Cl^- + H3O^+}$

Es gibt auch Säure-Moleküle, die mehrere Protonen haben und diese Protonen in einer Säure-Base-Reaktion abgegeben können. Schwefelsäure-Moleküle (Dihydrogensulfat, (\( \ce {H2SO4} \))) sind in der Lage, ihre beiden Protonen abzugeben (Abb. 1). Wenn Schwefelsäure mit Wasser reagiert, dann entstehen im ersten Schritt Hydrogensulfat- und Oxonium-Ionen.

$\ce{H2SO4 + H2O <=> HSO4^- + H3O^+}$

Im zweiten Schritt reagieren Hydrogensulfat-Ionen und Wasser zu Sulfat- und Oxonium-Ionen.

$\ce{HSO4^- + H2O <=> SO4^2- + H3O^+}$

Je nach Anzahl der Protonen, die ein Säure-Molekül abgeben kann, unterscheidest du einprotonige von zwei- oder dreiprotonigen bzw. mehrprotonigen Brönsted-Säuren.

$\ce{pK_S}$-Werte mehrprotoniger Säuren

CC-BY-NC 4.0 / Joachim Herz Stiftung;
Abb. 2 Dissoziationsdiagramm Schwefelsäure

Mehrprotonige Säuren haben genau so viele $\ce{pK_S}$-Werte, wie sie in Säure-Base-Reaktionen Protonen abgeben können. Der $\ce{pK_S}$-Wert entspricht dem pH-Wert, an dem die jeweilige Säure-Base-Reaktion im Gleichgewicht ist.

Von Schwefelsäure sind die $\ce{pK_S}$-Werte die folgenden:

$\ce{pK_S1 (H2SO4) = -3}$

$\ce{pK_S2 (HSO4^-) = 1,9}$

Welche Reaktionen stattfinden und welche Konzentrationen der unterschiedlichen Teilchen in der Lösung vorhanden sind, ist abhängig von dem pH-Wert der Lösung. Du kannst in Abbildung 2 sehen, dass mit zunehmendem pH-Wert der Anteil der Schwefelsäure-Moleküle in der Lösung abnimmt. Gleichzeitig steigt der Anteil der Hydrogensulfat-Ionen. Bei einem pH-Wert von -3 treffen sich die ersten beiden Graphen. An dieser Stelle sind genauso viele Schwefelsäure-Moleküle wie Hydrogensulfat-Ionen in der Lösung vorhanden. Ab etwa einem pH-Wert von -1 sinkt der Anteil der Hydrogensulfat-Ionen in der Lösung. Der Anteil der Sulfat-Ionen steigt. Bei einem pH-Wert von 1,9 treffen sich die letzten beiden Graphen. An dieser Stelle sind genauso viele Hydrogensulfat- wie Sulfat-Ionen in der Lösung vorhanden.

Zudem kannst du anhand der $\ce{pK_S}$-Werte erkennen, dass Schwefelsäure eine stärkere Säure als Hydrogensulfat ist. Das erste Proton wird leichter abgegeben als das zweite. Das liegt an der Stabilisierung des jeweilig deprotonierten Ions. 

Titration mehrprotoniger Säuren

Wenn du mit mehrprotonigen sauren Lösungen eine Titration durchführst, sehen die Titrationskurven anders aus, als du von dem Artikel zur Titration kennengelernt hast. In unserem Versuch verwenden wir eine Phosphorsäure-Lösung (\(\rm{0,1 \frac{mol}{l}}\)) als Probelösung und eine Natronlauge (\(\rm{0,3 \frac{mol}{l}}\)) als Maßlösung (Abb. 3.1). Wir messen mit einem pH-Sensor den pH-Wert pro Milliliter hinzugegebener Maßlösung.

Du kannst beobachten, dass der pH-Wert dreimal springt (Abb. 3.2). Da Phosphorsäure eine dreiprotonige Säure ist (Abb. 3), gibt es auch drei Äquivalenzpunkte. An den Äquivalenzpunkten liegen die Oxonium- und Hydroxid-Ionen im Gleichgewicht ($\ce{c(H3O+) = c(OH-)}$) vor. Die pH-Werte an den Halbäquivalenzpunkten entsprechen den $\ce{pK_S}$-Werten der Säure (Abb. 5). An diesen Punkten liegen jeweils die Konzentrationen der Säure und ihre korrespondierende Base im Gleichgewicht.

CC-BY-NC 4.0 / Joachim Herz Stiftung;
Abb. 4 Phosphorsäure-Phosphat-Gleichgewicht

Abb. 5 pKs-Werte der Phosphorsäure 

  $\ce{pK_s1}$ $\ce{pK_s2}$ $\ce{pK_s3}$
Phosphorsäure 2,16 7,21 12,32

Nicht alle Protonen eines Moleküls reagieren in einer Säure-Base-Reaktion

CC-BY-NC 4.0 / Joachim Herz Stiftung; Nadine Boele
Abb. 6 Essigsäure-Molekül

Du musst berücksichtigen, dass nicht alle Protonen eines Teilchens im Sinne einer Säurewirkung abgegeben werden können. Obwohl beispielsweise ein Essigsäure-Molekül (\( \ce {CH3COOH} \)) insgesamt vier Wasserstoff-Atome besitzt (Abb. 6), gibt es in wässriger Lösung immer nur ein Wasserstoff-Ion als Proton ab. Es ist immer das Wasserstoff-Ion, das in der Carboxy-Gruppe an das Sauerstoff-Atom gebunden ist. Durch die hohe Elektronegativitätsdifferenz zwischen dem Sauerstoff- und dem Wasserstoff-Atom ist diese Elektronenpaarbindung polarisiert und kann leichter getrennt werden als eine C—H-Bindung. Wasserstoff-Ionen, die an einem Protonenübergang beteiligt sind, werden zur Unterscheidung von denen, die nicht als Protonen abgegeben werden, als acider Wasserstoff bezeichnet.

Zusammenfassung

Mehrprotonige Säuren können in Säure-Base-Reaktionen mehr als ein Proton abgeben. Schwefelsäure ist eine zweiprotonige Säure und Phosphorsäure eine dreiprotonige Säure. Nur acide Protonen können in Säure-Base-Reaktionen abgegeben werden. Die Essigsäure kann nur eines von vier Protonen in Säure-Base-Reaktionen abgeben. Bei der Titration von Säuren entsprechen die Halbäquivalenzpunkte den $\ce{pK_S}$-Werten. Bei Titrationskurven mehrprotoniger Säuren kannst du genauso viele pH-Sprünge bzw. Äquivalenzpunkte am Graphen ablesen, wie die Säure acide Protonen besitzt.

Aufgabe