Um darzustellen, wie die Atome in einem Molekül verknüpft sind, verwenden wir die sogenannte Valenzstrichformel (manchmal auch Molekülformel oder Lewis-Formel genannt). Doch woher wissen wir eigentlich, wie diese aussieht?
Da an Bindungen immer nur die Valenzelektronen (= Außenelektronen) beteiligt sind, reicht eine modellhafte Darstellung, in der du nur die Valenzelektronen gezeichnest. Ein Wasserstoff-Atom hat beispielsweise ein Valenzelektron, und wird daher mit einem Punkt am Elementsymbol dargestellt (Abb. 1). Ein Chlor-Atom hat sieben Valenzelektronen und wird daher mit sieben Punkten um das Elementsymbol herum dargestellt. Beide Atome benötigen ein weiteres Valenzelektron, um die Edelgaskonfiguration zu erreichen, weshalb sie sich jeweils zwei Elektronen, also ein Elektronenpaar teilen. Dieses bindende Elektronenpaar wird durch einen Strich (Valenzstrich) dargestellt. Alle weiteren Valenzelektronen werden ebenfalls als Elektronenpaare gezeichnet, indem jeweils zwei durch einen Valenzstrich dargestellt werden – das sind sogenannte nichtbindende Elektronenpaare (oder freie Elektronenpaare). Es entsteht die sogenannte Valenzstrichformel. Die Elementsymbole stehen dabei für den Atomrumpf (Atomkern und Elektronen der niedrigeren Energiestufen), ein Punkt steht für ein Valenzelektron und ein Strich steht für ein Valenzelektronenpaar.
Regeln zum Aufstellen von Valenzstrichformeln
Im Folgenden beschreiben wir Regeln, um die Valenzstrichformel eines Moleküls aufzustellen. Die Regeln verdeutlichen wir am Beispiel des Schwefelwasserstoff-Moleküls (\(\ce{H_2S}\)).
1. Anzahl der vorhandenen Valenzelektronenpaare
Berechne zunächst, wie viele Valenzelektronenpaare (VEP) in dem Molekül vorhanden sind. Dazu addierst du die Anzahl der Valenzelektronen von allen einzelnen Atomen und teilst die Summe durch 2 (so erhältst du Paare).
Die Anzahl der Valenzelektronen entspricht der Hauptgruppennummer.
\(\rm S\) | \(\rm{6\; VE}\) | |
\(\rm{2\cdot H}\) | \(\rm{2\cdot1\; VE}\) | |
gesamt | \(\rm{8\; VE}\) | \(\Rightarrow\) \(\rm{4\; VEP}\) vorhanden |
2. Anzahl der benötigten Valenzelektronenpaare
Berechne, wie viele Valenzelektronen du benötigen würdest, damit jedes Atom die Edelgaskonfiguration erreicht.
Alle Atome, außer Helium- und Wasserstoff-Atome, erreichen mit \(\rm{8\;VE}\) die Edelgaskonfiguration, ein Helium- bzw. Wasserstoff-Atom mit \(\rm{2\;VE}\).
\(\rm S\) | \(\rm{8\; VE}\) | |
\(\rm{2\cdot H}\) | \(\rm{2\cdot2\; VE}\) | |
gesamt | \(\rm{12\; VE}\) | \(\Rightarrow\) \(\rm{6\; VEP}\) vorhanden |
3. Anzahl der bindenden Elektronenpaare
Bestimme die Anzahl der bindenden Elektronenpaare (BEP), indem du die vorhandenen von den benötigten Valenzelektronenpaaren (VEP) abziehst:
BEP = benötigte VEP – vorhandene VEP
Da mehr Elektronen benötigt werden, als vorhanden sind, müssen manche Elektronenpaare geteilt werden. Du teilst genauso viele, wie zu wenig vorhanden sind. In unserem Beispiel sind insgesamt zwei Elektronenpaare weniger vorhanden, als benötigt wären, damit alle Atome die Edelgaskonfiguration erreichen. Daher werden zwei Elektronenpaare geteilt (bindende Elektronenpaare).
6 VEP – 4 VEP = 2 BEP
4. Anzahl der nichtbindenden Elektronenpaare
Bestimme die Anzahl der nichtbindenden Elektronenpaare (NEP):
NEP = vorhandene VEP – BEP
Alle Elektronenpaare, die nicht geteilt werden, werden als nichtbindende Elektronenpaare jeweils einem Atom zugeordnet. In unserem Beispiel sind insgesamt vier Elektronenpaare vorhanden. Zwei davon sind bindende Elektronenpaare. Es bleiben also noch zwei Elektronenpaare als nichtbindende Elektronenpaare übrig.
4 VEP – 2 BEP = 2 NEP
5. Anordnung der Atomsymbole
Das Atomsymbol des Atoms, welches die meisten Bindungen eingehen kann, wird in das Zentrum des Moleküls geschrieben. Wasserstoff-Atome stehen immer am Rand des Moleküls.
Hinweis: Je weiter rechts im PSE ein Nichtmetall-Element steht, umso weniger Bindungen kann das entsprechende Atom eingehen.
In diesem Fall steht das Schwefel-Atom in der Mitte und die beiden Wasserstoff-Atome am Rand.
6. Verteilung der bindenden Elektronenpaare
Alle direkten Bindungspartner verbindest du im Molekül durch Striche. Insgesamt muss die Anzahl der Zahl der BEP entsprechen.
In unserem Beispiel sind zwei bindende Elektronenpaare vorhanden. Deswegen werden zwei verbindende Striche eingezeichnet.
7. Anordnung der nichtbindenden Elektronenpaare
Abschließend verteilst du die NEP so, dass jedes Atom die Edelgaskonfiguration erreicht.
Die beiden Wasserstoff-Atome haben durch die bindende Elektronenpaare jeweils zwei Valenzelektronen. Sie haben die Edelgaskonfiguration erreicht. Das Schwefel-Atom hat durch die bindende Elektronenpaare bisher vier Valenzelektronen, benötigt aber acht. Daher werden die beiden nichtbindenden Elektronenpaare dem Schwefel-Atom zugeordnet. Jetzt hat es durch die bindende und nichtbindenden Elektronenpaare insgesamt acht Valenzelektronen und erreicht die Edelgaskonfiguration.
8. Bestimmung von Formalladungen
Überprüfe noch, ob es Formalladungen gibt, indem du die Anzahl der Valenzelektronen, die einem Atom direkt zugeordnet sind, von der Anzahl an Valenzelektronen, die das Atom im elementaren Zustand besitzt, abziehst:
Formalladung = (VE im elementaren Zustand) – (im Molekül direkt zugeordnete VE)
Um zu bestimmen, wie viele Valenzelektronen einem Atom direkt zugeordnet sind, werden die bindenden Elektronenpaare gedanklich halbiert.
\(\rm{S:}\) \(\rm{6\;VE}\) \(\rm{- 6\;VE = 0 \Rightarrow}\) keine Formalladung
\(\rm{H:}\) \(\rm{1\;VE}\) \(\rm{- 1\;VE = 0 \Rightarrow}\) keine Formalladung
Wenn deine Valenzstrichformel Formalladungen hat, solltest du noch überprüfen, ob es eine Möglichkeit ohne Formalladungen gibt, da diese Struktur stabiler ist. Bei manchen Molekülen ist eine Valenzstrichformel ohne Formalladungen aber nicht möglich.
Weitere Beispiele
Schauen wir uns noch zwei weitere Beispiele an: