Wenn du schon einmal Tafelessig probiert hast, dann weißt du: das schmeckt das ganz schön sauer (Abb. 1). In Tafelessig ist Essigsäure enthalten. Essigsäure ist eine mittelstarke Carbonsäure. Verglichen mit der Essigsäure gibt es noch stärkere und schwächere Carbonsäuren. Was das bedeutet, erfährst du in diesem Artikel.
Carbonsäuren als Protonen-Donatoren
Im Themenbereich der Säuren und Basen hast du bereits erfahren, dass Säuren nach der Definition von Brönsted Protonen-Donatoren sind. Das bedeutet, dass sie Protonen abgeben, während eine Base die Protonen aufnimmt.
Für den sauren pH-Wert der Carbonsäuren spielt das Proton (Wasserstoff-Ion) an der funktionellen Gruppe, der Carboxy-Gruppe ($\ce{R-COOH}$), eine entscheidende Rolle. Wenn du Essigsäure in Wasser gibst, findet eine Säure-Base-Reaktion statt. Essigsäure und Wasser reagieren zum Acetat-Ion und zum Oxonium-Ion.
$\ce{H3C-COOH + H2O -> H3C-COO^- + H3O^+}$
Allgemein nennen wir das Ion mit der funktionellen Gruppe $\ce{R-COO^-}$ Carboxylat-Ion. Bei dieser Reaktion gibt das Essigsäure-Molekül ein Proton ab und das Wasser-Molekül nimmt dieses auf.
Carbonsäuren können leicht ein Proton von einer Carboxyl-Gruppe abspalten
Dies hat zwei Gründe:
1. Negativer induktiver Effekt der Carboxy-Gruppe
Wir betrachten die beiden Bindungen zwischen den Sauerstoff-Atomen und dem Kohlenstoff-Atom der Carboxy-Gruppe. Die Elektronegativität des Sauerstoff-Atoms ist höher als die des Kohlenstoff-Atoms. Dadurch werden die Elektronenpaare der Bindung jeweils mehr von den Sauerstoff-Atomen angezogen (Abb. 2.1).
2. Mesomerie der Carboxy-Gruppe
Das Carboxylat-Ion ist durch die Doppelbindung zu dem Sauerstoff-Atom mesomeriestabilisiert (Abb. 2.2). Die Elektronen der Doppelbindung verteilen sich quasi über die Bindungen zu den Sauerstoff-Ionen. Dieser Zustand ist energetisch besonders günstig.
Homologe Reihe der Carbonsäuren - meist mittelstarke Säuren
Um die Stärke von Säuren vergleichen zu können, betrachten wir ihre pKs-Werte. Je niedriger der pKs-Wert, desto stärker ist eine Säure (Abb. 3).
Carbonsäure | $\ce{pK_s}$-Wert |
---|---|
Methansäure $\ce{HCOOH}$ (Ameisensäure) | 3,75 |
Ethansäure $\ce{H3C-COOH}$ (Essigsäure) | 4,76 |
Propansäure $\ce{H5C2-COOH}$ (Propionsäure) | 4,87 |
Butansäure $\ce{H7C3-COOH}$ (Buttersäure) | 4,83 |
Je länger die Alkyl-Gruppe (Kohlenwasserstoff-Kette) ist, desto weniger stark ist die Carbonsäure. Von der Alkyl-Gruppe geht ein positiver induktiver Effekt aus. Dabei werden die Elektronen in die Carboxy-Gruppe geschoben. Dadurch muss die Säure nicht unbedingt ein Proton abgeben, um stabilisiert zu werden. Zudem ist die polare Wirkung der Carboxy-Gruppe bei einem langen Carbonsäure-Molekül weniger stark. Das Carboxylat-Ion würde weniger stabilisiert. Dadurch ist der Effekt der Carboxy-Gruppe, Protonen abzugeben, geringer.
Mehrprotonige Carbonsäuren
Mehrprotonige Carbonsäuren besitzen mehr als eine Carboxy-Gruppe (Abb. 4). Diese Säuren können mehr als ein Proton abgeben und sind stärkere Säuren als die einprotonigen Carbonsäuren der gleichen Kettenlänge. Je weiter beide Carboxy-Gruppen im Molekül voneinander entfernt sind, desto höher ist der pKs-Wert und desto schwächer ist die Säure.
Dicarbonsäure | $\ce{pK_s1}$-Wert | $\ce{pK_s2}$-Wert |
---|---|---|
Ethandisäure $\ce{C2H2O4}$ (Oxalsäure) (Abb. 5.1) | 1,23 | 4,19 |
Propandisäure $\ce{C3H4O4}$ (Malonsäure) (Abb. 5.2) | 2,83 | 5,69 |
Bei der Propandisäure sind die Carboxy-Gruppen weiter voneinander entfernt als bei der Ethandisäure. Dementsprechend sind auch die pKs-Werte bei der Propandisäure höher. Innerhalb der Moleküle fällt noch auf, dass die Abgabe des ersten Protons einen stärker sauren Effekt hat, als die Abgabe des zweiten Protons.
Einfluss von anderen Atomen auf die Säurestärke
In Carbonsäuren können noch weitere Atome oder Atomgruppen neben der Carboxy-Gruppe gebunden haben (Abb. 6). Das können funktionelle Gruppen wie die Hydroxy-Gruppe sein wie z. B. bei der Milchsäure. Außerdem können Wasserstoff-Atome durch andere Atome ersetzt werden. Dichlorethansäure und Trichlorethansäure haben im Gegensatz zur Ethansäure (Essigsäure) Chlor-Atome anstatt von Wasserstoff-Atomen an das zweite Kohlenstoff-Atom gebunden. Im Gegensatz zu der Ethansäure sind die pKs-Werte von Di- und Trichlorethansäure deutlich niedriger. Das bedeutet, dass diese Carbonsäuren stärker sind. Die gebundenen Chlor-Atome haben einen negativen induktiven Effekt. Sie ziehen die Elektronen an sich, wodurch das Carboxylat-Ion stabilisiert wird, wenn die Carbonsäuren ein Proton abgeben. Dieser Effekt ist bei der Trichlorethansäure noch stärker als bei der Dichlorethansäure.
Carbonsäure | $\ce{pK_s}$-Wert |
---|---|
Dichlorethansäure $\ce{Cl2HC-COOH}$ | 1,29 |
Trichlorethansäure $\ce{Cl3C-COOH}$ | 0,65 |
Zusammenfassung
Carbonsäuren sind Protonen-Donatoren und fungieren daher als Brönsted Säuren. Sie geben leicht Protonen ab, weil die Sauerstoff-Atome der Carboxy-Gruppe die Elektronenpaare an sich ziehen und das Carboxylat-Ion mesomeriestabilisiert ist. Es gibt unterschiedlich starke Carbonsäuren. Je niedriger der pKs-Wert ist, desto stärker ist die Säure. Bei mehrprotonigen Carbonsäuren ist der erste pKs-Wert niedriger als der zweite.